Jetzt nicht irgendwann

Denn jetzt und nicht irgendwann war Dringlichkeit geboten, das Projekt mit den elf- bis siebzehnjährigen ABC-Schülern durchzuführen, die z.T. aus Kriegsgebieten kommend, seelisch stark belastet und plötzlich in der Fremde unserer deutschen Sprache und Schrift erst einmal wie ohnmächtig gegenüberstanden. Es handelt sich hier um junge, nicht weniger intelligente Menschen als all überall, um an sich hoffnungsfreudige und nicht weniger sensible Menschen als ebenfalls all überall. Dennoch erscheint es, als stünden diese Kinder aufs erste gesehen chancenlos, fast.

Dank der speziellen und in Bayern einmaligen ABC-Mittelschul-Übergangsklasse an der Simmernschule in München-Schwabing, wie sie dieserart nur im nun auslaufenden Schuljahr durchgeführt wurde, bekamen diese Kinder dann doch eine ziemlich große Chance, sich sozial und verbal in der neuen Heimat zu integrieren.

Was für große und z.T. sehr selbstbewusste Persönlichkeiten hier heranwachsen, gilt es mittels des Projektes Jetzt – nicht irgendwann zu entdecken!

Welche Möglichkeiten gibt es, dieses pädagogisch-soziale Schul-Experiment festzuhalten? Festzuhalten für uns, denen es als Bundesbürger und obendrein in Bayern regelrecht gut, zumindest aber doch besser geht als der großen Mehrheit der Menschen; für uns, die wir die Möglichkeit haben, auch aus eben dieser Beobachtung sehr viel Menschliches zu erfahren. Festgehalten in welcher Form: Foto – Film – Print?

Die Wahl fiel auf das Festhalten von bewegenden und nicht nur bewegten Bildern.

Eine Film-Dokumentation, die nach allen Seiten offen war/ist, zumal die Schüler sich selber aktiv daran beteiligen sollten und das auch wollten; so hielten sie u.a. selbst die Kamera, die Mikrofone, erzählten und entwickelten selbst Geschichten, stellten sich vor und stellten es sich vor, wie …

Das Ganze geschieht/geschah in quasi seminarischer Tätigkeit, in Verantwortung und Kontrolle durch den international renommierten Filmemacher und Autor Wolf Gaudlitz und die erfahrende Kamerafrau und Produzentin Carolin Dassel.

Aus 16 Stunden gedrehtem Filmmaterial soll ein Dokumentarfilm von einer Mindestlänge von 30 Minuten entstehen. Die (Schul-)Kinder werden über die einzelnen Film-Entstehungs- und Nachproduktions-Abläufe ständig auf dem Laufenden gehalten und bei manch einem Schüler mag sogar schon eine Art von Berufsorientierung stattgefunden haben. In jedem Fall aber dient die über fast drei Monate sich hinziehende und sehr arbeitsintensive Tätigkeit auch einer gut strukturierten Disziplin und Selbsterfahrung – letztendlich ausgekostet mit dem Gewinn eines auch neu gewonnen Selbstbewusstseins auf Seiten der Schüler.

Jetzt – und nicht irgendwann haben diese in Deutschland angekommenen, verletzten, kleinen Kinderseelen letztendlich Schutz, Frieden und Hoffnung erfahren dürfen. Wie das aber wirklich auch sichtbar wird, wissen wir jetzt Dank der bewegten Bilder, die sich mehr und mehr gerade auch dadurch zu bewegenden Bildern wandeln werden, weil wir nun über die anstehenden Jahre aus weiteren Beobachtungen erfahren können, was im Lauf der Zeit aus jenen kleinen Menschen doch vielleicht auch noch ganz Großes geworden sein mag.

 

 

Vorbesprechung Süddeutsche Zeitung, Kultur